Dort, wo man sonst seine Hand nicht vor Augen sieht, leuchtet es plötzlich taghell: in einem Mülheimer Kanal. In nur zwei aufeinanderfolgenden Nächten haben wir den Kanal unter dem vielbefahrenen Kassenberg inspiziert.
Möglich gemacht wurde die schnelle und von den Mülheimern weitestgehend unbemerkte Prüfung durch moderne Drohnentechnik. Abschnittweise nahmen eine Flugdrohne sowie ein Kanal-TV-Inspektionsboot Rund-um-Bilder des 1924/25 gemauerten Kanals auf. Da es unterhalb der Erdoberfläche kein GPS-Signal gibt, musste vor Start ein Sender in den Einstiegsschacht heruntergelassen werden. Erst dann kann eine Drohne für ihren rund 15-minütigen Einsatz in die Unterwelt hinabgelassen werden. Mehr lassen die Akkus noch nicht zu.
Kein Wunder, ist doch der Einsatz von Drohnen bei der Kanalinspektion noch recht neu. Werden die unbemannten Flugobjekte schon länger für das Befliegen von hohen Gebäuden oder Stromleitungen eingesetzt – kurz darauf auch für Inneninspektionen von Hochöfen und Kühltürmen, haben sich erst ab Mitte 2020 Firmen darauf spezialisiert, Bauwerke des Tiefbaus, wie Kanäle, mit Drohnen zu befliegen. Und das Ergebnis kann sich sehen lassen: hervorragend ausgeleuchtete Aufnahmen mit hoher Auflösung erlauben eine gute Zustandsbeurteilung.
Unterwelt auf dem Prüfstand
Den Zustand unserer Unterwelt prüfen wir aber nicht erst seit 2020. „In der Regel werden Kanäle inzwischen mindestens alle 15 Jahre inspiziert. So erkennen wir ihre Schwachstellen frühzeitig und können Schäden sowie kostenintensive Reparaturen oder Neubauten vorbeugen. Denn kein Kanal ist für die Ewigkeit gebaut.“, hält Frank Zohren, einer von zwei sem-Betriebsleitern, fest.
Bei einer herkömmlichen Kanalinspektion wird entweder eine fahrbare Kamera eingesetzt oder der zu besichtigende Kanal sogar von einem Menschen begangen. „Das ist (zeit-)aufwändig, teuer und mitunter auch nicht ungefährlich – zumindest muss ein Sicherheits-konzept vorhanden und zusätzliches Personal vor Ort sein.“, erläutert Zohren die Tücken der Kanalinspektion und führt weiter aus: „Dazu kommt, dass Anwohner in der Regel über einen längeren Zeitraum mit verkehrstechnischen Einschränkungen und Lärm- sowie Geruchsbelästigungen leben müssen.“
Kassenberg – Kanalinspektion reloaded
Länger andauernde Verkehrseinschränkungen wären am Mülheimer Kassenberg fatal. Ist er doch Teil der vielbefahrenen Nord-Süd-Achse unserer Stadt westlich der Ruhr. Täglich fahren hier tausende Pkw und unzählige Lkw – je Richtung über eine Fahrspur. „Um diesen Kanal auf herkömmliche Weise mit einer fahrbaren Kamera zu besichtigen, hätte die Straße einschließlich aller notwendigen Vorarbeiten für mindestens zwei Wochen mit einer mobilen Ampelanlage jeweils einseitig gesperrt werden müssen.“, lässt Andreas Preußner, der zweite sem-Betriebsleiter, wissen.
Das prädestinierte den Kassenberg eindeutig für das unser Pilotprojekt. Auch wenn die bisherige Kameratechnik aktuell noch bessere Bilder liefert, liegen die Vorteile von Drohnen für bestimmte Einsatzfälle klar auf der Hand: äußerst geringe Geruch- oder Lärmbelästigungen für die Anwohner, schnellere und leichtere Umsetzung ohne große Vorarbeiten, kurzer Inspektionszeitraum – und das alles mit äußerst geringen Einschränkungen für den fließenden Verkehr.
Eine Innovation hervorgerufen durch neue, digitale Möglichkeiten in der Kameratechnik. Denn die Digitalisierung macht vor keiner Branche halt und schafft so zugleich neue, spannende Tätigkeitsfelder in oft ungeliebten Berufen. Denn eine Wiederholung scheint sicher! Selbst wenn es noch keine konkreten Vorhaben gibt, ist gewiss, dass wir Drohneneinsätze bei unseren zukünftigen Planungen berücksichtigt.
Eckpunkte Kassenberg-Kanal:
Baujahr 1924/25
Länge: 1,3 km
Schachtabstände: 70 bis 138 m
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